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Symposium des Sprengel-Museums Hannover mit Rineke Dijkstra
(7. September 2017)
Erst der Hasselblad-Award und nun noch der SPECTRUM-Fotopreis: die niederländische Porträtfotografin Rineke Dijkstra ist zurzeit der Star der internationalen Szene. Das Sprengel-Museum Hannover widmete ihr ein eigenes Symposium mit dem Titel »Fotografiert-Werden – Die Kunst des zeitgenössischen Porträts«. Ein Bericht von der Veranstaltung unter dem Gesichtspunkt, wie kommerzielle Porträtstudios davon profitieren können.
Alle drei Jahre verleiht die Stiftung Niedersachsen den SPECTRUM-Preis an herausragende zeitgenössische Künstler. Mit der Ehrung Rineke Dijkstras lenken die Preisgeber den Blick bewusst auf eine Künstlerin, die sich der Abbildung des Menschen verschrieben hat. Das Besondere an Dijkstras Schaffen versuchten internationale Expertinnen und Experten während des Syposiums im September 2017 gemeinsam mit der Künstlerin zu beantworten. Dijkstra begann nach ihrem Studium in den Achtzigerjahren zunächst als kommerzielle Fotografin, wandte sich aber bald ausschließlich eigenen freien Projekten zu. Typisch für ihr Werk ist die serielle Arbeitsweise, besonders gut zu verfolgen in ihren Porträts von Jugendlichen unter formal immer gleichen Parametern (Aufnahmeformat, Perspektive, Hintergrund). Sind die Bilder auch stets identisch komponiert, gibt Dijkstra ihren Modellen dabei nur wenig bis keine Regieanweisungen. Denn ihr Ziel ist nicht das »künstliche« Bildnis, wie es oft in der kommerziellen Fotografie von den Kunden gefordert wird, die sich möglichst »vorteilhaft« dargestellt sehen wollen. Rineke Dijkstra nimmt eher eine respektvoll distanzierte Haltung ein, die dem Fotografierten genug Raum zur Selbstdarstellung lässt. So wirken viele ihrer Aufnahmen trotz technischer Perfektion wie zufällige Schnappschüsse, bei denen die pubertären Protagonisten die Fotografin zwar wahrgenommen haben, aber nicht so recht wussten, wie sie sich verhalten sollten, und nun als linkisch wirkendes Zwitterwesen zwischen Nicht-mehr-Kind und Noch-kein-Erwachsener im Bild herumstehen. Das irritiert zunächst die Sehgewohnheit vom »schönen Bildnis«. Und doch schafft es Dijkstra, dass der Betrachter von ihren Aufnahmen seltsam berührt ist.
Der Geist der Alten Meister
Ulrike Schneider, Referentin für Bildende Kunst der Niedersächsischen Sparkassenstiftung, erläuterte in ihrem Vortrag auf dem hannoverschen Symposium Dijkstras archetypische serielle Strategie: alle Einzelaufnahmen sind über eine konsequent einheitliche Bildsprache verbunden und werden in einheitlicher Form präsentiert (gleiche Größe, Rahmung, etc.). Es gibt aber keine Prioriäten, keine Reihenfolge, keinen Anfang und kein Ende: eine Serie sei immer »das und das und das«. Rineke Dijkstras Porträts sind zweifelsohne »authentische Momente der Konzentration« (Schneider). Der Kunstredakteur und Dijkstras Lebensgefährte Hans den Hartog Jager sprach dazu von einer »platonischen Sichtweise« auf die Abgebildeten. Es sei eine Gabe Dijkstras, alle Parameter, die ein gutes Bild ausmachen, in dem einen Moment unbewusst wahrnehmen zu können und wie Puzzleteile zu einem perfekten Foto zusammenzusetzen. Besonders hob Jager in diesem Zusammenhang einen technischen Aspekt hervor, nämlich die Verwendung einer 4×5-Inch-Laufbodenkamera: Die Komposition findet hier auf einer Mattscheibe statt, die das Bild kopfstehend zeigt, eine Abstraktion, die es Dijkstra ermöglicht, sich auf Formen, Umrisse und Seitenverhältnisse zu konzentrieren.
Gruppenbilder spielen immer wieder eine Rolle in Dijkstras Fotografie. Gerade in diesen Gruppenporträts erschließt sich der Zauber oft erst auf den zweiten Blick, dann aber umso intensiver, worauf Maren Polte von der Hochschule für Künste, Bern, hinwies: Es sei das Bewusstsein Dijkstras für Kleidung, Körperhaltung, Herkunft der Modelle, die es nicht gewohnt sind, sich öffentlich zu exponieren, das den nicht inszenierten Bildern eine ähnliche Wirkung einverleibt, wie man sie sonst aus großen Werken alter Meister der Malerei wie eines Manet oder Poussin kennt.
Ab Mitte der Neunzigerjahre stellt Dijkstra fest, dass sie mit ihrer Strategie der Einzelaufnahme an Grenzen stößt. »Ich erkannte, dass Identität kein Moment ist, sondern ein Fluss, eine Entwicklung«, erläuterte Rineke Dijkstra in der Podiumsdiskussion. In ihrem Werk ist daher ein Wechsel zu langfristigen Dokumentationen festzustellen. So begleitete sie in ihrer Arbeit »Almerisa« das gleichnamige Mädchen über einen Zeitraum von 15 Jahren, um dessen psychosoziale Entwicklung und Identitätswandel zu zeigen. Außerdem beginnt sie mit Videos zu arbeiten, einem Medium, mit dem sie ihrem Interesse an zeitlichen Verläufen besonders gut nachgehen kann.
Kunst und Wirklichkeit
Welche Schlüsse kann das kommerzielle Porträtstudio aus dem Erfolg einer Rineke Dijkstra ziehen? Die oben schon erwähnte Erwartungshaltung der »typischen« Kunden wird es beim »bestellten Bildnis« auch weiterhin nötig machen, dass Fotografin und Fotograf durch Regieanweisung und Inszenierung dem Modell Hilfestellung geben, den gewünschten »Look« zu erreichen. Aber es lohnt, sich dabei die Frage zu stellen: Will ich als Lichtbildner mein eigenes Interesse oder das des Fotografierten ins Bild übertragen? Auch wenn Dijkstra selber sagt: »Wir Fotografen fotografieren uns immer selbst in den anderen.« – es ist die Empathie, die sie auszeichnet, die Fähigkeit, sich auf ihr Gegenüber einzulassen und dessen Intention zu spüren. Ist die Fotosession nur ein »Schauspiel« mit der Rollenverteilung »Ich Starfotograf, Du Supermodel«, wird die Enttäuschung über die Bildergebnisse vorprogrammiert sein. Je mehr es einem/r Porträtfotografen/in aber gelingt, mit psychologischem Einfühlungsvermögen den Charakter des Abgebildeten herauszuarbeiten, desto näher wird sie/er dem »guten Bildnis« kommen. Die Kunden werden es beim Fotografiert-Werden honorieren.
Werkschau: Das Sprengel-Museum Hannover zeigt ab dem 26. Januar 2018 eine umfassende Ausstellung zum Werk Rineke Dijkstras. Zurzeit ist im selben Haus eine kleine Auswahl ihrer Bilder im Rahmen der Präsentation „FACE IT – Porträtfotografie aus der Sammlung“ zu sehen (noch bis zum 19. November 2017). www.sprengel-museum.de
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