Genie und Wahnsinn, sagt man gern, lägen dicht zusammen. Willi P., mit dem mich eine eher lose »Freund-eines-Freundes-Freundschaft« verband, war so ein Genie. Nicht wahnsinnig, aber ein Chaot. Dabei absolut liebenswert. Von Beruf seit ewigen Zeiten schon »Student«, wohnt er mit Mitte Dreißig immer noch bei den Eltern. Auch sonst immer Kind geblieben im positivsten Sinne, voller Neugierde, was das Leben so zu bieten hat. Alles ausprobieren wollend. Mitmenschen gegenüber immer aufgeschlossen und freundlich, niemals aggressiv.
Willi ist Autodidakt von der Sorte, der etwas nur ausprobieren muss, um es gleich zu können. Klavierspielen zum Beispiel, Schlagzeug virtuos, ebenso Didgeridoo – inklusive Zirkularatmung versteht sich. Die Computerwelt ermöglicht ihm, seine Logikfähigkeiten mit der genialen Kreativität zu verbinden. Die Entwicklung von Plugins und Filtern für die Bildbearbeitungssoftware Photoshop wird zu seiner Spezialität. So strukturiert und klar er bei dieser Arbeit wirkt, so chaotisch verläuft sein sonstiges Leben. Weil er nachts mit Kunden von der anderen Seite des Erdballs kommuniziert, verschläft er die Tage bis weit nach Mittag. Ans Essen muss seine Mutter ihn erinnern. Die Etage des Einfamilienhauses, die er bewohnt, erinnert an einen unaufgeräumten Speicher. Die zahlreichen, zum Teil auf dem Fußboden stehenden Rechner sind voller Staub und Tabakkrümel, aber alle funktionieren und werden genutzt. Die verstopfte Espressomaschine würde noch Wochen vor sich hinschimmeln, wenn nicht der Vater sich eines Tages ein Herz genommen und sie repariert hätte.
Willi kann in der offiziellen Verlosung eine Greencard für die USA ergattern. Mit seiner Idee, diese zu nutzen, um von dort einen Softwarevertrieb aufzubauen, scheitert er schlicht an der Organisation für den ersten Schritt – die Karte verfällt nach einigen Jahren ungenutzt. Für Willi allerdings kein Grund zu Trübsal. Seine immer positive Einstellung zum Leben und die Fähigkeit es zu genießen, hat mich immer fasziniert.
Später kauft sich Willi ein Motorrad, eine exotische italienische Marke, an der es viel zu »schrauben« gibt. Kein Raserteil, eher »was zum Cruisen«. Am 1. Mai 2009 unternimmt Willi eine Frühlingsausfahrt. Sein engster Freund fährt voraus, verliert ihn irgendwann aus dem Rückspiegel und kehrt um. Er findet ihn reglos im Straßengraben liegend. Es lässt sich nicht rekonstruieren, ob Fremdverschulden vorlag oder Willi schlicht die Kontrolle über das Motorrad verlor. Er stirbt tags darauf im Krankenhaus an den Unfallfolgen. Willi P. wurde 43 Jahre alt.