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von Werner Musterer | Reportage

GO-WILD-Symposium zum Natur- und Tierfilm (7. Dezember 2017)

Heinz Sielmann wäre in diesem Jahr 100 Jahre alt geworden. Den Mann, dessen »Expeditionen ins Tierreich« mindestens zwei Fernsehgenerationen geprägt haben, als Wegbereiter des Natur- und Tierfilmes der Nachkriegszeit zu bezeichnen, ist sicher keine Übertreibung. 60 Jahre ist es her, dass sein »Herrscher des Urwalds« die Zuschauer aus den noch nicht mit Fernsehgeräten ausgestatteten Wohnzimmern in die Kinos lockte. Hat das Genre noch eine Zukunft und wenn ja, wie müssen zeitgemäße Produktionen heute angelegt werden, um erfolgreich zu sein? Fragen, die das von der Hochschule Hannover zusammen mit der Heinz-Sielmann-Stiftung, der Bingo-Umweltstiftung und der Produktionsfirma Doclights ausgerichtete Symposium »Go Wild – Natur- und Tierflm im Fokus« zu beantworten suchte.

Zur Vorbereitung auf die mögliche Bandbreite des Diskurses hatte das Symposiumspublikum die Möglichkeit, den oben schon angesprochenen Kongofilm Sielmanns von 1958 mit Markus Imhoofs Bienendoku »More than Honey« aus 2012 zu vergleichen, die beide in voller Länge im hannoverschen kommunalen »Kino im Künstlerhaus« gezeigt wurden. Es ist das Schicksal kultureller Meilensteine – was dieser wie auch die späteren Langfilme Sielmanns wie »Galapagos« (1964) oder »Lockende Wildnis« (1972) zweifellos waren –, dass sie im Laufe der Jahrzehnte an Glanz verlieren. Die Balz von Kronenkranichen in Parallelmontage mit dem Ritualtanz fünfzehnjähriger, nackter Tutsi-Mädchen (damals noch »Watussi« genannt) zu stellen, wäre so heute sicher nicht mehr von einer Redaktion abgenickt worden. Wenn man die Faszination, die der Film damals aufs Publikum ausgeübt haben muss, zwar auch heute noch nachvollziehen kann – als Vorbild oder gar Anleitung für heutige Produktionen ist er wohl kaum mehr geeignet.

Was will Naturfilm heute und – viel wichtiger – mit welchen Mitteln erreicht er die dem Medien-Overflow ausgesetzten Zuschauer? Dazu hatte Veranstalter Michael Sutor, selber Fimschaffender und Professor für Fernsehjournalismus an der Fakultät für Medien, Information und Design, Expertinnen und Experten in großer Bandbreite geladen: Dr. Christoph Klimmt etwa, Professor für Kommunikationswissenschaft, wägte in seiner medienpsychologischen Betrachtung ab zwischen einem »hedonischen« und einem »endaimonischen« Pol. Also einem, der die Zuschauer eher emotional involviert, was von tollpatschigen Tierbabys bis zum Kampf auf Leben und Tod reichen kann, und dem anderen, der einen Bildungsanspruch vertritt und nach Bedeutsamkeit strebt. Beides, so Klimmts Schlussfolgerung, kann funktionieren und zur Unterhaltsamkeit beitragen, sofern die gewählte Erzählweise in der Lage ist, Spannung aufzubauen, für »Suspense« zu sorgen.

 

Drama oder Doku – oder beides?

Die Rolle, die ein spezielles Musikdesign für Naturfilme bei der Aufmerksamkeitslenkung spielt, beleuchtete der Komponist und Musikwissenschaftler Johann Kroier. In seiner Analyse stellte er fest, dass im Gegensatz zur Bildtechnik und dramaturgischen Erzählweise beim Musikeinsatz kaum eine bemerkenswerte Weiterentwicklung zu erkennen sei. Einzig die Produktionsmethoden hätten sich durch die Digitalisierung verändert. So sei es heute möglich, ein ganzes Symphonieorchester am Keyboard einzuspielen. Kroier rief daher die Musikschaffenden dazu auf, die technischen Möglichkeiten mehr für Experimente zu nutzen, statt einfach traditionelle Sounds zu reproduzieren. Eine »zeitgemäße« Musik vermisse er in Filmproduktionen schmerzlich. Zuversichtlicher zeigte sich Dr. Kerstin Stutterheim, Professorin für Media and Cultural Studies an der englischen Bournemouth University, in Bezug auf die Entwicklung dramaturgischer Strategien im modernen Naturfilm. Gerade im Bereich eher dokumentarisch angelegter Produktionen gebe es in jüngster Zeit eine Fülle bemerkenswerter Filme, die Publikumserfolge nachzuweisen hätten. Der oben bereits angesprochene »More than Honey« gehöre schon dazu, besonders hob Stutterheim aber »The Ivory Game« und »Virunga« hervor, die vom Serienabokanal Netflix koproduziert wurden und dort sehr erfolgreich liefen. Dass es die unverhohlen erklärte Strategie von Netflix sei, solche Filme zu kaufen, »nur weil man damit Preise gewinne«, sei verstörend, schade aber nicht der Qualität dieser Filme.

 

Facebook – die Rückkehr des Stummfilms

Spielt der »Naturfilm 2.0« dann doch in den Neuen Medien statt im linearen Fernsehen oder dem Kinosaal? Jörn Röver, Geschäftsführer der Produktionsfirma Doclights, mochte sich in der abschließenden Podiumsdiskussion nicht festlegen. Ohne Zweifel fände ein großer Teil des Filmkonsums heute auf Mobilgeräten statt – und das auf immer kleineren Screens, obwohl gleichzeitig die Darstellungstechnik mit UHD-1 und -2 (»4K« und »8K«) immer höhere Auflösung biete. »Und auf Facebook ist der Stummfilm zurück: 90 Prozent der Filme schauen die Leute dort ohne Ton!«, wie Röver amüsiert konstatierte. Aber die weitere Entwicklung sei noch schwer absehbar, zu sprunghaft sei das Zuschauerverhalten. So habe man auf der Doclights-eigenen VOD-Plattform (video-on-demand) zunächst auf Zuschauerwunsch eine Rubrik »Naturschutz« eingeführt, diese aber bald wieder herausgenommen, weil die Klickraten gegen Null tendierten. Dann wieder gebe es Beschwerden wegen eingespielter Werbung bei den kostenlosen Angeboten, die werbefreie Bezahlvariante werde aber auch nicht in dem Maße angenommen, wie man vermuten könne.

Und welche Rezepte hat ein erfolgreicher Naturfilmer wie Jan Haft, dessen »Magie der Fjorde« zum Abschluss des Symposiums noch unter großem Applaus als Weltpremiere zur Aufführung kam? »Der Boden ist doch da!«, so der anwesende Haft ganz pragmatisch auf Nachfrage von Moderator Michael Sutor. »Es gibt Leute, denen gefallen Naturfilme einfach und das sind gar nicht so wenige. Aus der Erfahrung heraus kann man eigentlich ein ganz gutes Fingespitzengefühl entwickeln, was gut geht oder was gar nicht geht.« Es gebe noch unendlich viel zu entdecken, abseits der üblichen »Löwe, Seebär & Co.«-Arten: »Früher hieß es immer, Insekten gehen gar nicht. Aber da gibt es zum Beispiel in unseren deutschen Wäldern eine Pilzmücke, die nachts blau leuchtet. Heute kann man da wahnsinnig gute Bilder bringen, und wenn ich das als Schmankerl zwischen Specht und Wildschwein montiere, gucken sich die Leute das auch an und sprechen nachher von der nachtleuchtenden Pilzmücke!«

 

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